Warum die Finnen so glücklich sind

Zusammenfassung: Die Winter sind lang, eisig und dunkel. Wirtschaftlich ist Finnland längst nicht so reich wie zum Beispiel der Nachbar Norwegen. Und doch sind die Finnen laut dem „World Happiness Report“ die glücklichsten Menschen der Welt – bereits zum zweiten Mal in Folge schaffte es Finnland nun schon an die Spitze der jährlich erscheinenden Studie. Aber was macht die Finnen eigentlich so glücklich?

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So nah und doch unbekannt

Als ich Ende März in Helsinki aus dem Flugzeug steige, bin ich überrascht: Es ist wärmer als ich dachte, und durch die vielen verglasten Flächen des Flughafens scheint die Sonne herein. Schon wenige Minuten nach der Ankunft erscheint mein Koffer auf dem Gepäckband, und keine 10 Minuten später sitze ich in dem Zug, der mich in gut einer halben Stunde ins Stadtzentrum von Helsinki bringt. Funktioniert alles ziemlich gut hier, denke ich, kein Vergleich zu Berlin Tegel, wo ich am Ende dieser Reise wieder landen und fast eine Stunde auf meinen Koffer werde warten müssen.

Finnland entdecken

Ich bin das erste Mal in Finnland, hatte zuvor nur eine sehr vage Vorstellung von diesem nordischen Land im Kopf, von vielen Wäldern und Seen, viel Schnee, Rentieren und kurzen dunklen Tagen. Normalerweise zieht es mich eher in südlichere Länder, wo die Sonne viel häufiger scheint und es wärmer ist und die Menschen deshalb doch zwangsläufig glücklich – oder etwa doch nicht? Jedenfalls sollen die Menschen im Norden deutlich zufriedener sein als viele andere Nationen, das zumindest legt der World Happiness Report nahe, der von den fünf nordeuropäischen Ländern Finnland, Dänemark, Norwegen, Island und den Niederlanden angeführt wird.

Auf der Suche nach dem Glücksprinzip der Finnen

Aber warum sind nun ausgerechnet die Bewohner Finnlands die angeblich glücklichsten Menschen der Welt? Dieses Völkchen von gerade mal 5,5 Millionen Einwohnern, das auf einer Fläche fast genauso groß wie Deutschland (83 Millionen Einwohner) lebt? Dass die Infrastruktur hier allem Anschein nach ziemlich gut funktioniert, ist sicher ein Punkt, der zur allgemeinen Zufriedenheit beiträgt – aber ganz bestimmt nicht der entscheidende.

Ich suche also weiter. Auf dem kurzen Weg vom Bahnhof zu meinem Hotel laufe ich durch die Fußgängerzone von Helsinki. Es ist zwar nicht so, dass jeder hier per se lächelt, aber die Leute wirken irgendwie entspannter. Kein Gehetze, kein Gerempel, obwohl es recht voll ist in der Innenstadt an diesem Mittwochnachmittag.

Finnische Seenlandschaft

Und mir fällt noch etwas auf: Ich sehe keine Obdachlosen. Niemand, der am Straßenrand sitzt und um Geld bettelt, keine in Schlafsäcke gewickelten Menschen, die sich in Hauseingänge oder Einfahrten kauern. Später lese ich, dass Finnland es geschafft hat, die Zahl der Obdachlosen innerhalb weniger Jahre auf annähernd null zu reduzieren. Vor zehn Jahren wurde das so genannte Housing-First-Programm in den zehn größten Städten im Land eingeführt. Menschen ohne Zuhause bekommen kostenlos eine dauerhafte Wohnung gestellt, damit sie ihr übriges Leben wieder in den Griff kriegen können. Hierfür wurden ehemalige Obdachlosenheime zu Apartmenthäusern umgebaut und neue Wohnhäuser gebaut.

Ein stabiles System

Auch Arbeitslose sind einer Statistik zufolge in Finnland bessergestellt als im Rest der EU. Nirgendwo ist ihr Armutsrisiko geringer – dank staatlicher Hilfen. Außerdem ist Gleichstellung dort heute kaum noch eine Frage: Finnland gab Frauen 1906 als erstes Land Europas das Recht zu wählen. Finnische Frauen arbeiten in der Regel Vollzeit, das Pronomen „hän“ bedeutet zugleich „er“ und „sie“.

Während viele Deutsche erstmal grundsätzlich skeptisch sind, vertrauen die Finnen darauf, dass andere schon das Richtige tun werden. Das gilt auch für den Staat. Für soziale Sicherheit, kostenlose Bildung und ein Gesundheitswesen auf hohem Niveau akzeptieren sie auch hohe Steuern. Das Land ist sicher, stabil und hat eine funktionierende Regierung, die die Finnen als zufriedenstellend bewerten, wie aus dem diesjährigen World Happiness Report hervorgeht.

In Finnland ist Korruption sehr gering und das Land gleichzeitig sozial fortschrittlich. Die Nordeuropäer vertrauen nicht nur den Behörden, der Polizei und der Justiz mehr als die Menschen in anderen Ländern, sondern auch einander. Das Ranking beruht unter anderem auch auf der Selbstwahrnehmung der Befragten.

Elch in Finnland

In kurzer Zeit weniger gestresst

Die Verbindung zur Natur scheint also ein bedeutender Faktor zu sein, der die Finnen besonders zufrieden macht. Denn egal wen man fragt, alle sagen, dass sie die Wälder und Seen in ihrem Land lieben und es sehr schätzen, dass all das so nah und jederzeit verfügbar ist. Wie groß der Effekt der Natur auf das Wohlbefinden ist, zeigte erst kürzlich eine im Fachmagazin „Frontiers in Psychology“ veröffentlichte Studie: Demnach genügen bereits 20 Minuten im Grünen, um das Level an Stresshormonen merklich zu vermindern.

Und auch ich merke schon bei meinem viertägigen Kurztrip nach Finnland, wie gut die Nähe zur Natur mir tut. Endlich mal wieder durchatmen, den Lärm der Großstadt vergessen. Klar kann ich auch aus Berlin raus aufs Land oder in den Wald fahren. Aber es dauert einfach länger. In Finnland sind rund 80 Prozent der Landesfläche mit Wäldern und Seen bedeckt, im Prinzip muss jeder Finne nur wenige Schritte zurücklegen und steht im Grünen.

Sisu-Momente

Meine Erkenntnis am Ende dieser Reise: Die Finnen sind ein unglaublich freundliches und herzliches Volk. Ihre Grundzufriedenheit kommt durch eine Mischung aus einem gerechten Sozialsystem, einer freien Erziehung und tollen Bildungschancen. Vor allem aber ist es die Natur, gepaart mit Sisu, dieser ganz eigenen mentalen Eigenschaft, die angeblich nur die Finnen haben und die man nicht wirklich beschreiben kann. Es ist ein Mix aus Beharrlichkeit, Zähigkeit, Kampfgeist, Sturheit und Geduld. Die Devise heißt: nicht aufgeben!

Auch ich habe einen echten Sisu-Moment, nämlich, als ich mich überwinde, in das eisige Wasser eines halb zugefrorenen Sees zu springen. Niemals hätte ich von mir selbst erwartet, dass ich das schaffe, denn ich friere normalerweise schon beim Anblick von Wasser. Als ich aus dem See steige, prickelt mein ganz Körper und fühle mich: glücklich.

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